Auf das Phänomen der Ich-Bezogenheit bin ich durch meine vielfältigen Erfahrungen in meinem Leben gestoßen, die mir deutlich gemacht haben: Die Menschen, die nicht primär an sich selbst denken, sind absolut in der Minderheit. Sie sind diejenigen, die in unserer Ich-Gesellschaft zu verschwinden drohen und die sich in einer Gesellschaft zunehmender Egozentrik wirksam zur Wehr setzen müssen. Eine gute Lektüre bietet dazu Uta Hess (https://www.amazon.de/Die-Ich-Gesellschaft-Uta-Hess/dp/3423361808). Nur macht sie in ihrem Buch den Fehler, die Egozentrik als die schlimmere Version der Ichbezogenheit darzustellen als die des bekannten Egoismus. Tatsache ist aber, dass nach meiner Auffassung die Ichbezogenheit mit der Egozentrik beginnt (was fälschlicherweise in der Psychoanalyse als „primärer Narzissmus“ bezeichnet wird). Sie ist gewissermaßen die erste Stufe der sich immer mehr ins Negative steigernden Abartigkeit der Selbstsucht. Kinder zeigen ein egozentrisches Verhalten von Geburt an: Sie sehen die Welt nur aus ihrem eigenen Blickwinkel, was sich darin ausdrückt, dass ihre eigene Bedürfnisbefriedigung immer in ihrem Mittelpunkt steht und sie durch Erziehung lernen müssen, dass diese nicht immer prompt und wie selbstverständlich erfolgt, sondern an ihre Grenzen stößt. Sie müssen etwas lernen, was als „Frustrationstoleranz“ bezeichnet wird, also die Fähigkeit, mit Enttäuschungen fertig zu werden, wenn die Wunscherfüllung nicht erwartungsgemäß erfolgt. Die Egozentrik drückt sich aber nicht nur in der Ungeduld in Bezug auf die eigene Bedürfnisbefriedigung aus, was sich als in nicht oder nur gering ausgeprägter Impulskontrolle ausdrückt, sondern auch in der Unfähigkeit, die Emotionen des anderen zu verstehen. Das egozentrische Kind geht vermeintlich von der Tatsache aus, dass der andere sich genauso fühlen müsse wie es selbst. Wenn ein Kind im Spiel gegen einen anderen gewonnen hat, freut es sich, kann es aber nur schwer nachvollziehen, warum es dem anderen nicht genauso geht, der verloren hat und deshalb traurig ist. Wissenschaftler des Leipziger Max-Planck-Institutes haben herausgefunden, dass die Ausreifung einer bestimmten Hirnregion für die Fähigkeit verantwortlich ist, sich in die Lage eines anderen hineinzuversetzen: Supramarginale Gyrus in der rechten Hälfte des Gehirns (https://www.mpg.de/8221455/emotionale_egozentrik_kinder). Diese Hirnregion ist wesentlich an dem Geschehen beteiligt, das man allgemein mit Empathie bezeichnet, also der Fähigkeit, die Welt auch aus der Perspektive des anderen zu verstehen, und das nicht nur auf kognitiver Basis, sondern auch emotional. Wenn jemand das nicht lernt, dann wird er zum unangenehmen Zeitgenossen des Egozentrikers, der die Welt als einen Discount-Laden ansieht, in dem er möglichst ohne viel zu bezahlen alle Wünsche erfüllt bekommt und der kein Mitleid mit denen empfindet, die ebenfalls durch diesen Discount-Laden gehen, aber nicht genügend Geld haben, um sich die Dinge zu leisten, die zur Bedürfnisbefriedigung notwendig sind. Wenn er dabei anderen Menschen in die Quere kommt, dann geschieht das allerdings unabsichtlich, aus Versehen. Weil er den Mitmenschen gar nicht erst richtig wahrnimmt, sind schädliche Verhaltensweisen, die zu Lasten anderer gehen, ihm gar nicht bewusst. Und da kommen wir schon bereits zum Hauptunterschied zum Egoisten. Der Egoist ist nicht nur egozentriert, sondern darüber hinaus sieht er den Mitmenschen im Kampf um die Ressourcen des Lebens als Konkurrenten an, den er nicht nur nicht beachtet, sondern eben als Mitstreiter sieht, den es auszuschalten gilt. Der Egoist ist eine Verschlimmerung der Ichbezogenheit insofern, als er nicht nur wie der Egozentriker die Welt nur mit den eigenen Augen sieht, sondern alle Mitstreiter als potentielle Feinde betrachtet, die es gilt auszustechen und aus dem Rennen heraus zu kicken, wie bei dem „Mensch-ärgere-nicht-Spiel.“ Der große Unterschied zum Egozentriker liegt also in der Intension des Egoisten, bei dem Daseinskampf die Schädigung des anderen nicht zu scheuen, sondern absichtlich herbeizuführen, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Bei dem Egozentriker geschieht die Schädigung des anderen unabsichtlich, weil er ihn gar nicht in seinem Blickwinkel hat. Die nächste Stufe der Verschlimmerung der Ichbezogenheit ist der Narzissmus. Der Narzisst ist nicht nur wie der Egozentriker ichbezogen und wie der Egoist darüber hinaus darauf aus, den Konkurrenten auszuschalten, sondern bei ihm geht die „Selbstverliebtheit“ so weit, dass er zu einer wirklichen Beziehung zu anderen Menschen gar nicht in der Lage ist. Er sieht die Mitmenschen nur als Erfüllungsgehilfen seiner Selbstbewunderung. Um dies zu verstehen, hilft der Blick in die griechische Mythologie: Dort ist Narziss ein Jüngling, der von seiner eigenen Schönheit so sehr beeindruckt war, dass er sowohl weibliche als auch männliche Verehrer verschmähte und sich schließlich in sein eigenes Spiegelbild verliebte (https://de.wikipedia.org/wiki/Narziss). Der Narzisst sieht also die Umwelt nur als einen Spiegel seiner Selbstherrlichkeit, in dem er sich selbst bewundern kann. Dabei kommt ergänzend hinzu, dass er extrem empfindlich ist. Er kann zwar sehr gut austeilen, aber er kann keine Kritik ertragen, weil er diese als eine „narzisstische Kränkung“ ansieht. Nach Reinhard Haller (https://www.youtube.com/watch?v=yd1VUdWEO5M) ist diese Empfindlichkeit eine der „fünf E´s“, mit der Narzissten beschrieben werden können: Egozentrik, Eigensucht, Empfindlichkeit, Empathiemangel und Entwertung. Die Selbstsucht des Narzissten geht also weiter als die des Egoisten, in dem der Narzisst nicht nur auf den Vorteil bedacht ist, sondern dass er mit einer hohen Empfindlichkeit gegenüber Kritik durch andere reagiert – gepaart mit der Unart des Nicht-vergessen-Könnens dieser Kränkung und des Sinnens auf Rache. Den anderen zu entwerten dient ihm zudem noch dazu, sich besser als andere zu fühlen. Da er sich nur um sich selbst kümmert, fehlt es ihm auch an Einfühlungsvermögen (Empathie). Auf der Stufenleiter der Verschlimmerung sind wir aber noch nicht angekommen. Denn die gipfelt in der der Psychopathie oder Soziopathie. Beide Formen der Ichbezogenheit bauen auf dem Narzissmus auf, aber sie gehen noch über diese hinaus, in dem sie mit ihrer Übersteigerung im Hinblick auf die Zerstörungskraft ihrer narzisstischen Selbstverliebtheit andere Menschen nicht nur als Konkurrenten versucht, aus dem Weg zu räumen, wie dies etwa der Egoist tut, sondern diese auch zu zerstören. Man könnte den Begriff der Psychopathie i. w. S. so verstehen, dass sie den Psychopathen i. e. S. und den des Soziopathen umfassen (https://de.sott.net/article/16719-Grundlegende-Unterschiede-zwischen-kriminellen-Soziopathen-und-Psychopathen) Die Unterscheidung der verschiedenen Formen erscheint sinnvoll, was in der folgenden Tabelle deutlich werden soll
Unterschiede Psychopathen - Soziopathen
Psychopathen |
Soziopathen |
beherrscht, übt strukturelle Gewalt aus |
leicht reizbar, tätliche Gewalt ausübend |
eher gebildet |
eher ungebildet |
bindungsunfähig, |
bindungsfähig, aber nur so lange ihr Wille geschieht |
geplante, gut durchdachte Verbrechen, beim Ausüben kaltblütig |
begangene Verbrechen planlos, eher aus dem Affekt begangen |
gute Impulskontrolle |
mangelnde Impulskontrolle, jähzornig |
keine emotionale Wärme empfindend und ausstrahlend, imitieren Gefühle |
oft "heißblütig" und sehr emotional wirkend, aggressive Komponente überwiegt |
Sozial angepasst, unauffällig |
oft sozial unangepasst und auffällig |
Soziopathen empfinden Vergnügen daran, andere Menschen zu quälen, zu foltern und zu vernichten. Sie fühlen sich als „Herren über Leben und Tod“ berufen, über die Lebensberechtigung anderer Menschen bestimmen zu können. Der Narzisst will andere nicht primär zerstören, er sieht die Mitmenschen nur als Marionetten, mit denen er gerne zu seinem Vergnügen spielt. Soziopathen empfinden dagegen Lust daran, diese Marionetten, nachdem sie mit ihnen gespielt haben, zu zerstören. Mit diesen Psychopathen haben es Gerichte zu tun, wenn diese Täter auch tatsächlich erwischt und verurteilt werden. Im Hinblick auf die Psychopathen sind sie dabei eher diejenigen, die dabei tätliche Gewalt ausüben. Sie finden Gefallen daran, wenn tatsächlich Blut fließt. Daran hat aber der Psychopath kein Gefallen. Er liebt die subtilere Art der Menschenbeherrschung und Vernichtung von anderen. Es ist ihm eher ekelhaft, wenn tatsächlich Blut fließt (https://www.youtube.com/watch?v=tpUB3LvM4Jo). Er liebt eher die feine Art der Manipulation, durch die er es schafft, seinen Willen durchzusetzen, wobei er sich gerne als Schachspieler sieht, der zu einem „Bauernopfer“ gerne bereit ist, wenn es ihm nützt. Ihm bedeuten die Leben anderer Menschen nichts. Er kann sie mit einem „Federstrich“ auslöschen, ohne dabei Gewissensbisse zu bekommen. Darin stimmen sie allerdings mit dem Soziopathen überein: Sie haben keine Skrupel, weil sie kein Gewissen haben. Sie glauben über dem Gesetz zu stehen und missachten diese Gesetze sowie die Rechte anderer. Klar ist danach, wo man Psychopathen am ehesten findet: In den Spitzen der Regierung, der Wirtschaft und anderen Organisationen, in denen die Beherrschung von Menschen ermöglicht wird. Es fallen jedem sicher spontan Personen des öffentlichen Lebens ein, auf die diese Beschreibungen passen. Sie gehören zu den „White-collar-crime-Tätern“. Die Soziopathen landen meistens eher, wenn sie gefasst werden, im Gefängnis oder in der gerichtlichen Psychiatrie; die Psychopathen werden schlimmstenfalls Führer von Staaten oder anderen Gemeinschaften.
Die Gründe, warum man unter Politikern häufig Narzissten und Psychopathen finden kann, liegen auf der Hand. Hier die hauptsächlichsten Gründe (https://cdn.website-editor.net/fe35026c78fc4ba9a5a55b7f2f4caf1a/files/uploaded/Warum%2520werden%2520wir%2520von%2520den%2520Falschen%2520regiert.pdf):
- Rücksichtnahme und Einfühlungsvermögen sind für eine Karriere als Politiker nicht vorteilhaft. Auf dem Weg nach oben muss man Konkurrenten „ohne mit der Wimper zu zucken“ beiseite räumen können.
- Sich richtig in Szene setzen, andere blenden, sind Merkmale des Psychopathen, der durch sein Imponiergehabe, wenn er ein Mann ist, auf Frauen anziehend wirkt.
- Dort, wo andere sich zurückziehen, nachgeben, um mit anderen in Frieden zu leben, machen Politiker weiter, setzen ihre Interessen durch und geben nicht nach, weil ein Nachgeben eine Schwäche signalisiert, die sich ein Narzisst nicht leisten kann. Deshalb können sie auch keine Fehler zugeben, sind kritikresistent.
- Narzissten brauchen die Bewunderung durch andere, deshalb ist der Beruf des Politikers ideal, auch wenn sie manchmal Kritik ernten (lässt man abperlen wie bei einer Teflonpfanne), erhalten sie öffentliche Aufmerksamkeit, was Labsal für ihre Seele ist.
- Kein Gewissen zu haben – ein Merkmal des Psychopathen - (und damit keinen eigenen Prinzipien zu folgen) ist für einen Politiker vorteilhaft, weil er seine Meinung jederzeit ändern kann, um sich der jeweiligen herrschenden Meinung anzupassen, wenn dies dem eigenen Überleben dient. Er empfindet deshalb weder Schuldgefühle noch Scham, wenn durch seine Entscheidung andere Menschen leiden müssen, weil sie ihm egal sind.
- Der Narzisst entwertet andere, macht sie nieder – eine ideale Voraussetzung um als Politiker aufzutreten, weil die Selbsterhöhung durch Erniedrigung des anderen zum Alltagsgeschäft gehört.
- Politiker können mit dem Beruf nicht aufhören, denn dann entgeht ihnen die Aufmerksamkeit, die ihnen die Aufgabe als Politiker schenkt. Sie sind wie Drogensüchtige abhängig von der medialen Präsenz, fühlen sich schlecht, wenn sie nicht mehr interessant sind, inszenieren sich dann oft selbst, um ihr selbstsüchtiges Bedürfnis - Merkmal des Narzissten – zu befriedigen.
- Täuschung und Verstellung in wahren Absichten – eine Strategie des Psychopathen – sind für Politiker vorteilhaft. Da den psychopathischen Politiker keine Gewissensbisse plagen, ist das Lügen und ein Betrügen für ihn kein Problem.
© Büren, 01.01.2020, Günther Birkenstock