Jeder kennt sie. Es sind diejenigen, die bereits in der Schule Klassensprecher werden wollen, die in den Vereinen gerne im Vorstand sein möchten oder in den Parteien ein Amt haben: die Pöstchenjäger. Was sind das für Menschen?
- Früh übt sich: In der Klasse gibt es sie bereits, wenn die Position des Klassensprechers vergeben werden soll. Sie „können es mit jedem“, weil sie bereits anscheinend sehr früh die Fähigkeit entwickelt haben, sich auf die anderen einzustellen: auf ihre Meinungen, Interessen, Vorlieben oder Abneigungen. Geschickt verstehen sie es, sich bei ihnen beliebt zu machen, indem sie jeweils gerade die Meinung annehmen, die der andere auch hat, die gemeinsam „ablästern“ über denjenigen, der gerade mal nicht beliebt ist. Wenn dann die Wahl zum Klassensprecher ansteht, kandidieren sie gerne und versprechen auch mal dem einen oder anderen bei den Hausaufgaben zu helfen, wenn sie ihn wählen. Auch bei der Wahl des Schulsprechers lassen sie sich gerne aufstellen, denn schließlich haben sie bereits Erfahrungen als Klassensprecher.
- Vereinsmeier: Der Verein ist das Eldorado des Pöstchenjägers, denn hier gibt es immer ein Pöstchen im Vorstand zu vergeben. Am beliebtesten ist die Position des Vorsitzenden des Vorstandes, notfalls auch der des Stellvertreters, des Protokollführers oder Kassenwartes. Der Pöstchenjäger versteht es auch hier, wie bereits in der Schule als Klassensprecher, mit jedem gleich „per Du“ zu sein und genau die Meinung zu vertreten, die zum Verein und ihren Mitgliedern passt. Der Vereinsmeier ist ein „geselliger Typ“, um ihn scharen sich oft Gleichgesinnte, die „über alles und jeden“ reden und dadurch kennt ihn auch jeder. Er ergreift in den Versammlungen oft das Wort, auch wenn es nebensächlich ist, was er sagt, Hauptsache ist, dass er die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Er weiß geschickt „seine Leute“ hinter sich zu versammeln, weil er vorher schon mit jedem geredet hat.
- Parteibonze: Die Partei ist ebenfalls ein Schauplatz für den Pöstchenjäger. Hier ist es auch wichtig, mit jedem gleich gut bekannt zu sein. Hinzu kommt die Fähigkeit, seine eigene Meinung geschickt dem angesagten Duktus der Parteiführung anzupassen. Denn wer mit der Parteiführung „ins gleiche Horn tutet“, hat gute Karten bei der Vergabe eines Pöstchens in der Führungsriege der Partei. Querdenken ist nicht gefragt, denn der Pöstchenjäger will ja die Stimmen der Parteigenossen bei den bevorstehenden Wahlen auf seiner Seite wissen und dazu ist es hilfreich, die Meinung zu vertreten, die in der Partei vorherrscht. Dazu ist es hilfreich, bei der Kandidatenkür in den Reden an die Parteimitglieder die „Parteiseele“ geschickt anzusprechen. Er muss verstehen, ihre Bedürfnisse zu erahnen, so dass jeder denkt: Das ist genau das, was ich auch meine. Er muss wie auch der Vereinsmeier sich gut mit jedem verstehen und bei jedem bekannt zu sein. Auf diese Weise kann er sicher sein, dass bei den Wahlen in den Vorstand oder bei der Nominierung als Kandidat auf einer Wahlliste ganz vorne zu erscheinen.
- Marionettenspieler: Der Pöstchenjäger sieht sich gern als Marionettenspieler, denn er möchte gern, dass seine Mitmenschen sich genauso verhalten, wie er es möchte. Die Strippen zieht er gerne in der Weise, dass die Menschenpuppen denken, dass die ausgeführten Bewegungen auf einem eigenen Willen beruhen. So gesehen ist er auch ein geschickter Manipulator, denn die meisten merken nicht, dass sie nach seinem Willen manipuliert werden. Dem Pöstchenjäger nützt diese Art der Beeinflussung seiner Mitmenschen, um seine Ziele zur Erlangung einflussreicher Positionen zu ermöglichen.
- Keine Selbstzweifel: Er kann seine Mitmenschen dadurch überzeugen, dass er so etwas wie Selbstzweifel nicht kennt, weder an seiner eigenen Person noch an der Meinung, die er nach außen vertritt. Dadurch kann er leichtgläubige Menschen sehr schnell überzeugen, so dass diese denken: Der weiß was er sagt und glaubt auch an sich selbst. Diese Ausstrahlung wirkt auf alle, die der Pöstchenjäger als „Stimmvieh“ braucht. So kann er sich der Zustimmung bei Abstimmungen sicher sein. Dabei ist es nicht entscheidend, ob er wirklich eine eigene Meinung hat, er suggeriert nur bei anderen, dass er sie hätte.
- Teflonschicht: Mit Kritikern geht er in der Weise um, dass er sie einfach ignoriert, sowohl die Personen als solche als auch deren Meinung. Da er keine Selbstzweifel kennt, perlen alle Äußerungen, die kritisch gemeint sind, von ihm ab wie Wasser auf einer teflonbeschichteten Pfanne. Er wirkt dadurch etwas arrogant, was nichtsahnende Mitmenschen als „Willensstärke“ fehlinterpretieren.
- Keine Machtaufgabe: Wenn ein Pöstchjäger einen Posten erobert hat, sei es als Partei- oder Vereinsvorsitzender oder Inhaber eines anderen wichtigen politischen Amtes, gibt er die erreichte Machtposition nicht mehr freiwillig ab. Er muss regelrecht „aus dem Amt gejagt werden“. Es muss immer etwas passieren – ein Skandal, eine grobe Fehlleistung, die nicht zu vertuschen ist – bevor er seinen Posten aufgibt. Diese Machtversessenheit ist aber ein wichtiger Teil seiner Persönlichkeit, denn wer keine Selbstzweifel kennt, wer gerne Macht ausübt, braucht den ergatterten Posten, um das seelische Gleichgewicht aufrecht zu erhalten.
Pöstchenjäger sind verkappte Narzissten oder schlimmstenfalls Psychopathen, die ihr eigenes Ego ständig durch äußeres Gehabe und vor allem Machtausübung aufwerten müssen. Da sie sich als den Mittelpunkt der Welt sehen, um die sich die Welt zu drehen hat, sind sie in ihrer Reinkultur unangenehme Zeitgenossen, da sie weder Rücksicht noch Vorsicht kennen, sondern nur ihre eigenen Interessen. Von ihnen darf man weder Mitleid noch tätige Nächstenliebe erwarten.
Hinweis zur gendergerechten Sprache: Der Text wurde der Einfachheit halber in der maskulinen Form geschrieben, er gilt aber in entsprechender Weise auch für das weibliche Geschlecht (oder „Sonstige“).
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