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Das häufigste Argument, dass vorgebracht wird, wenn es um die Frage geht, ob es Gott gibt, um zu „beweisen“, dass es ihn nicht gibt, ist, dass man behauptet, man könne ihn nicht sehen oder hören, so dass es keinen Beweis für seine Existenz gibt. Wie solle man also dann erfahren, ob er dann existiert, wenn diese wichtige Erfahrung nicht gemacht wird. Ich will nun nicht versuchen, neue „Gottesbeweise“ zu erfinden, sondern die Frage nach der Erfahrbarkeit eines Gottes ergründen.

  • Beweise versus Indizien: Bevor die Frage der Erfahrbarkeit Gottes erörtert werden soll, will ich kurz auf den Unterschied zwischen Beweis und Indiz eingehen, den ich in diesem Zusammenhang für wichtig halte. Beweise sind juristisch gesehen starke Hinweise von glaubwürdigen Menschen, die etwa bezeugen können, die Tat eines vermeintlichen Verbrechers mit eigenen Augen gesehen zu haben. Ein Gericht gibt der Aussage eines so genannten „Tatzeugen“ deshalb ein hohes Gewicht, um zu einem Urteil zu gelangen. Ein Indiz ist dagegen z. B. eine Spur, die ein Täter hinterlassen hat wie etwa einen Fingerabdruck, der auf einer Tatwaffe gefunden wurde. Dieser Fingerabdruck ist nicht allein ausschlaggebend für die Urteilsfindung, sondern die an dieses Indiz gebundene Schlussfolgerung[1]: Wenn der Fingerabdruck auf der Tatwaffe gefunden wird, kann daraus geschlossen werden, dass der Täter diese Waffe auch in der Hand hatte. Indizien gelten im Strafverfahren als schwächere Hinweise, die einen vermeintlichen Täter überführen können. Sie deuten etwas an, ohne dass es eben klar bewiesen ist. Wie einem Richter in der Juristerei geht es auch jenem „Gottessuchenden“, der das schier Unmögliche versuchen will: Gott zu beweisen. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, Gott ließe sich direkt beweisen (niemand hat Gott bisher gesehen und kann davon berichten, wie er aussieht=Zeugenbeweis). Aber es gibt Hinweise, die den Rückschluss erlauben, dass die gefundenen Indizien auf einen Gott schließen lassen. Deshalb gibt es eigentlich keinen direkten „Gottesbeweis“, sondern es gibt nur Indizien, die auf die Existenz eines Gottes hinweisen. In diesem Zusammenhang ist die Erfahrung ein wichtiges Indiz. Von Erfahrung kann dann gesprochen werden, wenn etwas unmittelbar Erlebtes (unmittelbarer sensitiver Eindruck) durch die Verarbeitung des Wahrgenommenen mit eigener Beschreibung, Begrifflichkeit und Deutung verarbeitet wurde. Erfahrung ist also das verarbeitete Erlebnis.
  • Inspiration und Intuition: Wenn wir von nicht gewöhnlichen Erfahrungen sprechen, tauchen immer wieder zwei Begriffe auf, die zu unterscheiden sind: Inspiration und Intuition. Von Inspiration kann dann gesprochen werden, wenn, wie das Wort schon sagt, etwas „Geistliches“ („Spirit“) in unseren Erfahrungsbereich eindringt (wörtlich übersetzt: eingehaucht[2] wird), wie z. B. ein „Geistesblitz“ eine Idee oder eine plötzlich nicht erklärbare Einsicht, die sich gewissermaßen aufdrängt. Es ist auch bezeichnend, dass in der Genesis die Schaffung des Menschen dadurch geschah, dass Gott den Menschen aus einem nicht lebendigen Erdenkloß schuf und ihm dann den Odem in die Nase einblies (1. Mose 2, 7[3]). Erst danach war er eine lebendige Seele. Inspiration ist also eine Beseelung eines Nicht-Lebendigen durch das „Einhauchen“ von dem, was aus Gott herausfließt oder ausgeatmet wird. Aus einem Nichtlebendigem (Materie) wird eine Form geschaffen, die dann als „Gefäß“ dient, um den göttlichen Odem aufzunehmen und zu leben. Daraus kann geschlossen werden – folgt man dem Text der Genesis – dass in jedem Menschen ein Hauch dieses Schöpfer-Gottes wohnt und damit jeder Mensch als von einem Gott „Inspirierter“ angesehen werden kann. Ist mit dieser Schöpfung die Inspiration abgeschlossen? Es besteht die Frage, ob dieser „Geistesfluss“ ständig im Gange ist, also wir eigentlich immer in der Lage wären, diesen zu empfangen, aber nicht immer „auf Empfang gestellt sind“ oder ob die göttlichen Impulse nur ab und zu fließen. Hier könnte vielleicht das Radiogerät als Metapher dienen, um diese Frage zu beantworten. Die Radiowellen, die in der Lage sind, in dem Radiogerät einen Ton zu erzeugen, sind immer vorhanden, aber nicht immer haben wir das Empfangsgerät eingeschaltet, so dass diese Wellen eben nicht uns zum Gehör und zur Aufnahme gelangen. Dass dies so der Fall sein könnte und nicht dass Gott nur ab und zu seine Ideen verbreitet, deutet die Aussage von Jesus in der Bergpredigt hin, in dem er ausführt, dass Gott vergleichbar wäre mit der Sonne die sowohl auf Gute als auch Böse scheine und Gott es auf Gerechte und auch Ungerechte gleichermaßen regnen lasse (Matthäus 5, 45[4]). Bei der Intuition, abgeleitet aus dem Latein intueri „genau hinsehen, anschauen[5], handelt es sich dagegen um eine durch unmittelbare „Anschauung“ gewonnene Überzeugung, die sich zunächst auf der Gefühlsebene durch ein „gutes Gefühl“ bemerkbar macht, bevor sie zu einer dem Verstand zugänglichen Gewissheit wird. Umgangssprachlich wird dies dann gerne als „Bauchgefühl“ bezeichnet. Die von mir so genannte „intuitive Gewissheit“ ist die mit positiven Gefühlen verbundene Erkenntnis, dass ein „angedachter“ Verhaltensimpuls richtig ist, weil dieser stimmig ist. Die Stimmigkeit bezieht sich auf die Übereinstimmung mit der eigenen Gefühlswelt („ein gutes Gefühl haben“) und mit der vermuteten „göttlichen Quelle“, die hinter dem Verhaltensimpuls steht. Diese „Doppelkonkordanz“ wäre zumindest ein annähernd gutes Indiz für die Gottesnähe, die sich wie so oft in völlig alltäglichen Alltagssituationen zeigt. Mir ist es so einmal so ergangen, als ich in Paderborn war und eine obdachlose junge Frau die Menschen um einen Euro anbettelte, sie dann auf mich zu kam und ich spontan dachte, dass ich ihr etwas mehr geben könnte. Als ich einen 20-Euro-Schein herauskramte und ihr gab, fragte ich sie, ob sie auf einen Euro herausgegeben könne. Als sie das verneinte, reagierte sie mit freudiger Verwunderung, als ich ihr entgegnete, dass sie den Rest behalten könne. Ich folgte hierbei der intuitiven Eingebung, großzügig zu sein und nicht diese junge Frau wirklich nur einen Euro zu geben oder sie sogar abzuweisen[6]. Intuition ist die erste mit positiven Gefühlen verbundene Eingebung, etwas zu tun oder auch zu unterlassen. Diese Spontaneität bedingt eine nicht durch einen kritischen Verstand gefilterte Verhaltensweise, bei der Vor- und Nachteile abgewogen werden, meistens die kritischen Gedanken überwiegen und etwa eine mildtätige Geste als unangebracht verworfen wird. Die rationalen Begründungen folgen oft dann sehr bald, indem etwa auf die eigenen schlechten Erfahrungen zurückgegriffen wird, auf die berichteten kriminellen Bettelbanden, auf die weit verbreitete Ansicht, dass wir doch ein das Betteln unnötig machendes soziales Netzwerk haben[7], die uns die Ablehnung einer Hilfeleistung erleichtern. Sie dienen dann dazu, unser eigentlich ungutes Gefühl zu betäuben und unser Verhalten irgendwie zu rechtfertigen. Die Verhaltensweise, die einer intuitiven Eingebung folgte, das kann ich aus eigener Erfahrung sagen, hat, je mehr Zeit ins Land gegangen ist, mich selten gereut. Im Gegenteil: Ich habe deshalb keine materielle Not gelitten großherzig zu geben, wenn mich die Notlage eines Menschen dazu animierte, ihm Geld, Aufmerksamkeit, Zeit oder etwas anderes zu geben. Vielleicht hätte ich mir inzwischen etwas anscheinend Wertvolles von dem Geld kaufen könne, wie z. B. eine Eigentumswohnung, das ich auf diese Weise „leichtfertig“ verschenkt habe. Vielleicht hätte ich mit meiner „wertvollen“ Zeit etwas Besseres anfangen können, als z. B. mit jemand Gehübungen zu machen, der wieder das Laufen lernen musste oder der einfach Gesellschaft brauchte? Vielleicht war es dieser Mensch gar nicht wert, dass sich an ihm meine Aufmerksamkeit verschwendet habe? Die Intuition, dies aber alles trotzdem zu tun, halte ich aufgrund der Reinheit der aus ihr heraus resultierenden Verhaltensweisen als ein starkes Indiz für eine göttliche Eingebung. Die Reinheit entspringt der Selbstlosigkeit des Tuns, das ohne Gedanken an die eigenen Vorteile des Handelns, ausgeübt wird.
  • Gewissen: Die innere Stimme, die zu uns spricht, wenn wir vor Entscheidungen stehen etwas zu tun oder nicht, nennt man allgemein das Gewissen. Die dabei verwendete Sprache ist nicht die in Worten, sondern ähnlich wie bei der Intuition, die der Gefühle. Materialistisch orientierte Menschen leugnen die Existenz eines so genannten Gewissens, das quasi einer göttlichen Quelle entspringt. Für die dem Behaviorismus[8] verhafteten Psychologen ist das Gewissen nur eine Frage der Konditionierung: Wenn gewünschtes Verhalten mit positiven Reaktionen der Umwelt belohnt und unerwünschtes Verhalten durch Nicht-Beachtung oder durch negative Reaktionen bestraft wird, werden die Verhaltensweisen in Bezug auf bestimmte Umweltreize konditioniert. Die so konditionierten Lebewesen brauchen diese zu Gewohnheiten gewordenen Verhaltensmuster einfach nur noch internalisieren, so dass sie gewissermaßen automatisiert abgerufen werden können, ohne darüber nachzudenken. Die Gedanken werden dann nur noch als Rationalisierungen angesehen, die die getroffenen Entscheidungen kommentieren. Auf diese Weise kann nach ihrer Auffassung jedes Verhalten geformt und geprägt werden, also auch Verhalten, das wir als unmoralisch bezeichnen. Wenn in Subkulturen kriminelles Verhalten positiv bekräftigt wird, dann kann durch die externe Belohnung der Peer-Group[9] auch ein solches Verhalten konditioniert werden. Der Beliebigkeit wäre dann keine Grenzen gesetzt. Das Gewissen wäre dann nur noch ein durch stetes Einüben von bestimmten Verhaltensweisen ausgebildetes internes Steuerprogramm, das keine absoluten Maßstäbe kennt. Die philosophische Richtung, die hierfür die geistige Begründung liefert, ist der Utilitarismus. Der Maxime, die Nützlichkeit als den Maßstab für die Beurteilung von Entscheidungen und der daraus entspringenden Verhaltensweisen anzuwenden, entspringt die Idee von dem Dilemma, in das jemand gebracht wird, wenn er in einem fiktiven Gedankenexperiment entscheiden soll, ob eine Weiche so umgeleitet werden kann, dass ein Zug dadurch abgehalten wird, mit einer großen Menschenmenge (Gleisbauarbeiter, Gäste eines Bahnhofes…) zu kollidieren. Der Preis hierfür ist die Inkaufnahme des Todes von weniger Menschen (oder eines Bauarbeiters). Dieses als „Trolley-Problem“ in die Literatur eingegangene Dilemma[10] offenbart die diabolische Denkart so mancher Philosophen, die sich solche Versuchs-Designs gerne aufbauen, um zu sehen, wie Menschen reagieren. Menschen werden gerne zu Spielfiguren degradiert, denen keine oder nur geringe Überlebenschancen eingeräumt werden, um den Entscheidern das Gefühl der Größe zu geben, indem sie über Leben und Tod entscheiden können. Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf das „Trolly-Dilemma“ entschieden, dass etwa der Abschuss eines von Terroristen gekaperten Verkehrsflugzeuges nicht erlaubt wäre, um dem gedrohten Absturz auf ein Wohngebiet zu verhindern[11]. Damit hat es dem deontologischen[12] Moralanspruch des christlichen Abendlandes entsprochen. Dieser besteht in der aus „Soll-Sätzen“ bestehenden Fundierung unseres Verhaltens, wie sie bereits in den „Zehn Geboten“[13] oder auch in der Bergpredigt von Jesus formuliert wurden. Später hat diese Immanuel Kant in seiner Pflichtethik in ein gutes philosophisches Kleid gehüllt[14]. Der von Jesus formulierte absolute und für viele Menschen kaum nachvollziehbare Pazifismus, ging so weit, dass er auf die ihm als Gesandter Gottes zur Verfügung stehende Macht verzichtete, um seine Verhaftung zu verhindern. Einmal verhinderte er den weiteren tätlichen Angriff von Petrus auf die Angreifer, in dem er darauf hinwies, dass derjenige durch das Schwert umkommen wird, der zum Schwert greift (Matthäus 26, 52)[15] und zum anderen verzichtete er darauf, die ihm zur Verfügung stehende Macht zu nutzen, himmlische „Streitheere“ herbeizurufen (Matthäus 26, 53). Dem Gewissen zu folgen bedeutet also, in Fragen der Gewalt gegen andere dem göttlichen Gebot zu folgen, das auf dem Grundsatz der möglichst friedlichen Lösung von Konflikten beruht. So gesehen ist der Pazifismus, also das friedliche Zusammenleben, ein Ziel der göttlichen Ordnung, der alles andere untergeordnet werden soll. Wer also friedlich in Konfliktsituationen reagiert, befindet sich in Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen und wer sich in dieser Konkordanz befindet, hat ein „gutes Gewissen“.
  • Nachtoderfahrungen: Auch die Nahtoderfahrungen[16] vermitteln den an der Schwelle des physischen Todes stehenden Menschen den Eindruck, mit dem Numinosen[17] in Kontakt zu kommen, das in Worte kaum zu fassen ist. Diese bestehen nach dem „Tunnelerlebnis“ vor allem im Hinblick auf die Gotteserfahrung in der Beschreibung der Begegnung mit dem überirdischen Licht, das in eine nonverbale Kommunikation mit dem Menschen tritt und ein Gefühl der Geborgenheit und der absoluten Akzeptanz vermittelt[18]. Dass hier tatsächlich ein Blick ins Jenseits und so etwas wie eine Erfahrung von der Gegenwart Gottes gemacht wird, wird von materialistisch denkenden Wissenschaftlern meistens bestritten und dies alles noch den Aktivitäten des Gehirns zugeschrieben[19]. Eben Alexander hatte als Neurochirurg nach einer Gehirnentzündung durch eine bakterielle Infektion eine Nahtoderfahrung, die ihn zu der Einsicht brachte, dass er hierbei in Kontakt mit Gott („Om“) getreten war, die er auch als Person wahrnahm. Er betonte, dass es ein weit verbreiteter Irrtum sei, Gott sich als etwas Apersonales vorzustellen[20].
  • Fehldeutung durch Mystik, Wunder und Wunderheilungen : Könnte auch zu vorschnell aufgrund von Indizien auf Gott geschlossen werden und damit es zu Fehldeutungen kommen? Die christliche Mystik und die fernöstliche Variante der Meditation scheint mir insofern einer solchen Fehldeutung zu unterliegen, als durch Versuche der „mystischen Verschmelzung“ oder „Auflösung der Ich-Grenzen“, es für mich zweifelhaft ist, ob die für „Normalsterbliche“ kaum vollziehbaren Praktiken (rezitieren von heiligen Texten, „Leermachen“ des Geistes, um sich dem „großen Geist“ zu öffnen) zu diesem Kontakt mit Gott führt[21]. Diese Zweifel habe ich insbesondere deshalb, weil die Worte und vor allem Handlungen von Jesus, den ich als einen „Garanten“ für den richtigen Weg halte, eher als nüchtern, klar, ohne großes Brimborium daherkommend ansehe. Je anscheinend mysteriöser, undurchschaubarer und spektakulärer die veranstalteten Zeremonien, Gesänge, Körperhaltungen und Worte sind, desto mehr nähren sie für mich den Verdacht, dass dabei nur für den sich erhaben wähnenden Mystiker und dem staunenden Publikum „heiße Luft“ produziert wird. Ähnlich verhält es sich mit den Wundern, Wunderheilungen, erhörten Gebeten und ähnliche Ereignisse. Diese suggerieren insofern einen Trugschluss, wenn die Bitten anscheinend erhört wurden und sich auf wundersame Weise etwas Unerwartetes oder Übernatürliches ereignet hat, als das Gegenteil nicht erwähnt wird: Wie viele Gebete sind unerhört geblieben? Wie viele Menschen sind umsonst zu einem Wallfahrtsort gereist und haben keine Heilung erfahren? Was ist der Unterschied zu einer Heilung einer Schnittwunde an der Hand und der von Krebs? Es gibt keinen prinzipiellen Unterschied, denn Heilung ist immer die Transformation zu dem Idealzustand, der schon vorher bestand. Nur verstehen wir noch nicht den Mechanismus, die Gründe, warum in dem einen Fall eine Heilung geschieht und in dem anderen nicht. Es bedarf keines „göttlichen Eingreifens“, um eine Wunderheilung zu erklären. Das Wunder ist, dass es überhaupt so etwas wie eine ganz normale Heilung gibt, denn wie kann man erklären, dass die Körperzellen sich wieder regenerieren, seien es normale Hautzellen oder Krebszellen (die wieder zu normalen Zellen werden können)? Und warum gelingt es in dem einen Fall und in dem anderen nicht? Sollte nach einem Gebet eine Heilung durch einen gütigen Gott angenommen werden, ergibt sich für mich ein eklatantes Gerechtigkeitsproblem: Wie will man erklären, dass ein Gott dem einen bei einer Heilung hilft und dem anderen nicht?[22] Hat der eine nicht genug gebetet? War der andere nicht würdig, dass an ihm ein Wunder gezeigt wurde, weil er kein „gottgefälliges“ Leben geführt hat? Oder könnte es sogar so sein, dass Gott gar nicht so gut ist, sondern daran Spaß hat, Menschen leiden zu lassen? Wir messen oft zu schnell und bereitwillig – der Wunsch ist da wahrscheinlich der Vater des Gedankens – einem unerwarteten Ereignis eine übernatürliche Bedeutung zu und nehmen vorschnell an, dass hier ein allmächtiger Gott eingegriffen hat[23]. Hier vorschnell – im positiven Fall einer Heilung, eines glücklichen Zufalls, einer günstigen Fügung, die uns zum Vorteil gereicht - von einer „Gotteserfahrung“ zu sprechen ist leichtfertig und wird der Problemlösung nicht gerecht, denn es bleiben dann die Fälle auf der Strecke, wo dies nicht funktioniert und Menschen scheinbar unglücklich sterben, unendlich leiden müssen oder ständig anscheinend vom Pech verfolgt sind. Denn wie soll man diese Fälle erklären, in denen dieses Eingreifen anscheinend nicht erfolgt ist? War das dann eine Strafe Gottes? War da vielleicht ein gar nicht gnädiger Gott am Werk oder gar der Teufel? Gott dient uns hier nur als „verlängerter Arm“ unserer fehlenden Lösungskompetenz oder als Ersatz für das, was wir einfach Glück nennen. Gott zu erfahren ist also nicht so einfach zu erklären dadurch, dass er uns anscheinend geholfen hat, ein Problem zu lösen oder eine Heilung zu bewirken.  
  • Das Bedeutungs-Unsicherheits-Paradoxon: Viele wichtige Fragen bleiben für uns oft unbeantwortet: Gibt es ein Leben nach dem Tod? Gibt es einen Gott? Gibt es so etwas wie eine absolute Gerechtigkeit? Warum müssen die einen unendliches Leid ertragen und die anderen gehen hiervon unbehelligt durchs Leben? Diese Fragen finden oft für uns keine klaren Antworten. Wir bleiben oft nur auf der beschreibenden Ebene hängen, entwickeln „deskriptive Konstrukte“, können aber keine sicheren Erklärungen, also „explikative Konstrukte“ liefern. Man könnte auch sagen: Je essentieller die Fragen sind, desto unsicherer werden unsere Antworten (Bedeutungs-Unsicherheits-Paradox). Auf der anderen Seite gibt es völlig triviale Fragen, wie etwa nach dem Wetter, bei denen wir sehr sichere Antworten geben können, die für uns aber eigentlich völlig unwichtig sind. Je nebensächlicher die zu klärenden Sachverhalte sind, desto leichter können wir sichere Antworten geben und je wichtiger sie sind, desto unsicherer werden wir. Vielleicht könnte dahinter eine wohlgemeinte Absicht stecken: Wenn es so wäre, dass die essentiellen Fragen nach dem „Woher“ und dem „Wohin“ sicher beantworten werden könnten, da verkäme das Leben nach meiner Ansicht zu einem Versicherungsgeschäft: Wer würde nicht ein entbehrungsreiches diesseitiges Leben eintauschen gegen ein glorreiches jenseitiges Leben, wenn dies sicher wäre? Wenn es so etwas wie eine 100%ige Gerechtigkeit gäbe, wer würde dann noch ungerecht handeln? Wenn wir sichere Gotteserfahrungen machen könnten, die uns als „Beweise“ für seine Existenz dienten, warum könnten wir dann noch an ihm zweifeln? Wenn wir ganz sicher wüssten, es gäbe einen gerechten Gott, der alle guten Taten belohnt, würden wir nicht dann versuchen, ein „gottgefälliges“ Leben zu führen, weil wir sicher wären, hierfür belohnt zu werden? Wenn also alles sicher erklärbar wäre, dann bliebe die „Charakterprüfung“ aus, die da heißt: Kannst du trotz der vielen Unsicherheiten versuchen, gerecht zu bleiben, göttliche Gebote, wie das der Nächstenliebe zu praktizieren, einhalten, auch wenn eine „gerechte“ Entlohnung nicht sicher ist? Die Prüfung besteht darin, dass trotz der vorhandenen Unsicherheiten dem egoistischen Drang nach „sicheren Geschäften“ nicht nachgegeben wird, man die Unsicherheiten in Kauf nimmt und trotzdem versucht, ein „anständiges Leben“ zu führen.

 

Können wir Gott erfahren? Ja, wenn es uns gelingt, unserer „inneren Stimme“ zu vertrauen und danach handeln, wenn wir uns vorbehaltlos dem Unbekannten öffnen, ohne dies gleich kritisch zu hinterfragen. Nicht umsonst hat Jesus gemeint, dass wir so leichtgläubig wie die Kinder werden sollten, um ins Himmelreich zu gelangen (Matthäus 18,3[24]).

          

© beim Verfasser     

 

 

[1] Der BGH führt hierzu aus: „Nicht die eigentliche Indizientatsache ist das Hauptstück des Indizienbeweises, sondern der daran anknüpfende weitere Denkprozess, kraft dessen auf das Vorhandensein der rechtserheblichen weiteren Tatsache geschlossen wird“, vgl. BGHZ 53, 245,2660.  https://www.juraforum.de/lexikon/indizienbeweis

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Inspiration

[3] https://bibeltext.com/genesis/2-7.htm

[4] https://bibeltext.com/matthew/5-45.htm

[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Intuition

[6] Hierzu passt die Aussage von Jesus, der gesagt hatte, man solle immer demjenigen mehr geben als er fordere (wenn jemand dich bittet eine Meile zu gehen, dann gehe zwei mit ihm, Matthäus 5, 41, https://bibeltext.com/matthew/5-41.htm).

[7] Hierzu fällt mir die Aussage der von mir aufrichtig verachteten ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel ein, die gesagt hatte, dass sie noch nie jemand, der bettelt, Geld gegeben hätte, da doch jeder in Deutschland aufgrund der sozialen Leistungen ausreichend habe (die entsprechende Internetstelle habe ich leider nicht gefunden, die das belegt, aber meine Erinnerung hat mich bisher selten getäuscht).

[8] Der Behaviorismus kam aus Amerika, der eine „Gegenbewegung“ zur „verstehenden Psychologie“ darstellte, bei der noch versucht wurde, das „Innenleben“ des „beseelten“ Menschen zu begreifen. Für behavioristische Psychologen stellte der Mensch nur eine „black box“ dar, deren Inhalt nicht interessierte, sondern nur die empirisch nachweisbaren Verhaltensweisen Gegenstand der Forschung waren; https://de.wikipedia.org/wiki/Behaviorismus

[9] Die Peer-group stellt für den Jugendlichen und Heranwachsenden ein Gegenmodell zur Familie dar, weil im Gegensatz zu eher hierarchisch strukturierten Familie (Eltern haben das Sagen) die Gleichrangigkeit der Mitglieder eine große Rolle spielt und neue Normen gelernt werden, die im Gegensatz zur Ursprungsfamilie stehen können, wodurch auch abweichendes oder sogar kriminelles Verhalten eingeübt werden kann; https://de.wikipedia.org/wiki/Peergroup

[10] https://karrierebibel.de/trolley-dilemma/

[11] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2006/bvg06-011.html

[12] Deontologie: Lehre von der Ethik als eine aus Soll-Vorschriften bestehenden Moral, abgeleitet aus dem Griechischen „Deon“= das Gesollte, das Erforderliche oder die Plicht; https://de.wikipedia.org/wiki/Deontologische_Ethik

[13] Interessant ist, dass es sich nicht um „Muss-Sätze“ handelt, sondern um Soll-Sätze, die in begründeten Fällen Ausnahmen erlauben, wie z.B. du sollst kein falsches Zeugnis abgeben. Dies begründet die Ausnahme, dass eine Lüge möglich wäre, um ein höheres Rechtsgut zu schützen  wie z. B. den Schutz eines unschuldigen Menschen vor den Häschern eines Terrorregimes zu gewähren, indem man das Verstecken des Geflüchteten vor den nachforschenden Polizisten oder Soldaten leugnet. Siehe auch: Sind die 10 Gebote heute noch gültig; https://www.guentherbirkenstock.de/neue-seite, S. 9.  

[14] https://www.grin.com/document/434439

[15] https://bibeltext.com/matthew/26-52.htm

https://bibeltext.com/matthew/26-53.htm

[16] https://perikles.tv/philosophie-und-religion/1589-gibt-es-ein-leben-nach-dem-tod; siehe auch: Nahtoderfahrung – gibt es ein Leben nach dem Tod? https://www.guentherbirkenstock.de/neue-seite

[17] Das Numinose ist das nicht klar erkenn- und beschreibbare Göttliche, das sich uns aufgrund seiner Jenseitigkeit verschließt: https://de.wikipedia.org/wiki/Numen

[18] https://www.herder.de/afs/hefte/archiv/2016/11-2016/vom-licht-empfangen-was-sich-aus-einer-tiefen-nahtoderfahrung-fuers-leben-lernen-laesst/

[19] https://www.quarks.de/gesundheit/medizin/nahtod-deshalb-ist-das-helle-licht-wohl-kein-blick-ins-jenseits/

[20] Eben Alexander: Blick in die Ewigkeit, S. 71

[21] Eine beliebte Analogie ist die, dass die Welle (oder auch ein Wassertropfen) als ein Teil des Meeres zwar singulär ist, aber trotzdem Teil des Ganzen (Meer) sei: https://www.espirit.ch/rahmen/absolutum_gotteserfahrung.html 

[22] https://perikles.tv/philosophie-und-religion/1408-gibt-es-wunder

[23] Hier ein Beispiel von der wiedergefundenen im Meer verlorenen Brille, die der Hilfe Gottes zugeschrieben wird oder das Beispiel von der Tochter, die ihre verloren gegangene Perle wieder gefunden hat: https://www.sonntagsblatt.de/artikel/glaube/gibt-es-gott-gottesbeweis

[24] https://bibeltext.com/matthew/18-3.htm

 

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